Cyanoflechten - Eine Flechtengruppe, die es in sich hat
Unsere Referentin Frau Dr. Andrea Berger am Mikroskop
Bonn, den 13.02.2020
Vor fast genau einem Jahr hat unsere Referentin, Frau Dr. Andrea Berger vom Kölner Arbeitskreis, einen ersten Einstieg in die Welt der Flechten gegeben: „Flechten – Lebenskünstler stellen sich vor“ am 21.02.2019. Der diesjährige zweite Vortrag hatte eine ganz spezielle Gruppe von Lichenen, die Cyanoflech- ten, zum Thema, das von Frau Dr. Berger wieder sehr lehrreich und unterhaltsam aufbereitet und dargestellt wurde.
Bild 1: Beispiel für homöomeren Thallusbau Leptogium saturninum - Filzige Gallertflechte Gallertflechte Querschnitt Thallus, 30 µm Cyanobiont: Nostoc
In Flechten leben ein oder mehrere Pilze (Mycobionten) in Symbiose mit Algen (Photobionten), als morphologisch/physiologische Einheit. Die symbiontische Assoziation ermöglicht Pilz und Alge vielfältige Überlebensmöglichkeiten, die sie ohne Symbiosepartner nicht hätten. Die Flechten scheinen somit besonders erfolgreich zu sein: je schwieriger und harscher die Lebensbedingungen sind, desto stärker treten sie im Vergleich zu anderen Lebewesen in den Vordergrund.
Bild 2: Beispiel für heteromeren Thallusbau Peltigera praetextata- Verzierte Hundsflechte Echte Cyanoflechte Querschnitt Thallus, 25 µm Cyanobiont: Nostoc Calcoflour, Fluoreszensanregung
Die im ersten Vortrag vorgestellten Arten enthielten weitgehend Grünalgen als Symbionten - die weitaus bekanntere und häufigere Version; dagegen nutzt die diesmal vorgestellte Gruppe „Cyanoflechten“ Cyanobakterien als Photosynthesepartner, sei es ausschließlich oder zusätzlich zu den Grünalgen. Im Ausnahmefall kann der Mycobiont sogar sehr flexibel sein: die besondere Grübchenflechte Sticta canariensis z.B. kann sowohl Grünalgen (Morphotyp Grünalge) als auch Cyanobakterien (Morphotyp Cyanobakterie) als Symbionten halten, der Pilz ist derselbe! Die Cyanobakterien bieten dem Pilz den Vorteil der Stickstoff-Fixierung, somit trifft man die Cyanoflechten auch häufiger in stickstoffarmer Umgebung an. Außerdem können die Grünalgenhaltigen Cyanoflechten durch die Cyanobakterien ihr Photosynthese-Absorptionsspektrum nochmals erweitern, wodurch das Licht noch effektiver genutzt werden kann. Die unterschiedliche Ausstattung an Photosynthesepigmenten ist im Querschnitt durch die Flechte sehr schön zu erkennen, die Grünalgen sind grasgrün, Cyanobakterien deutlich blaugrün.
Bild 3: Beispiel für externes Cephalodium Peltigera aphthosa - Warzige Apfelflechte Blau-Grün-Flechte Querschnitt Thallus, 30µm Cyanobiont: Nostoc; Photobiont: Coccomyxa Fluoreszensanregung
Wir lernten also neue Arten kennen mit so putzigen Namen wie „Ohrenförmige Leimflechte“(Collema auriforme), „Gefranzte Gallertflechte“ (Leptogium lichenoides) und „Rußige Grübchenflechte“ (Sticta fuliginosa), alle mit Belegen aus Dr. Bergers umfangreichem Flechten-Herbar.
Die beiden erstgenannten gehören beispielsweise zur Gruppe der Gallert-Flechten, die in luftfeuchten Habitaten vorkommen und immer die Cyanobakterie Nostoc als Photobionten enthalten. Nostoc dominiert den Aufbau des Thallus und ist gleichmäßig innerhalb des Flechtenkörpers verteilt, genannt homöomere Thallusstruktur. Die Cyanobakterien bedingen bei Arten dieser Untergruppe die graue bis blaugrau schwärzliche Farbe, wenn sie feucht sind.
Bei der zweiten Untergruppe, den Echten Cyanoflechten, dominiert der Mycobiont: der Thallusaufbau ist heteromer. Wir können am Beispiel der „Verzierten Hundsflechte“ (Peltigera praetextata) im Querschnitt eine dicke obere Rinde, eine deutlich abgesetzte Schicht mit den Cyanobakterien, und schließlich eine lockere aber nicht berindete Unterseite erkennen.
Bild 4: Beispiel für internes Cephalodium Solorina crocea - Safranflechte Blau-Grün-Flechte Querschnitt Thallus, 25µm Cyanobiont: Nostoc; Photobiont: Dictyochloropsis
Die dritte Untergruppe sind die Blau-Grün-Flechten, die sowohl Cyanobakterien als auch Grünalgen enthalten. Auch hier bestimmt der Pilz den heteromeren Thallusaufbau. Dabei sind die Cyanobakterien nicht wahllos verteilt, sondern konzentriert in kugelförmigen „Cephalodien“, die sowohl an der Oberfläche als auch in der Mitte oder in der unteren Schicht liegen können. Die Grünalgen der „Warzigen Apfelflechte“ (Peltigera aphthosa) befinden sich z. B. in einer dichten Lage unter der oberen Rinde. Das konnte durch Mikrotom-Querschnitte (30 µm) belegt werden; als Einbettungsmittel hierzu hat sich PEG bestens bewährt. Die Mikrofotos der Schnitte hat übrigens Gerd Günther angefertigt, in bekannt hervorragender Qualität, wie ebenso auch die Makrofotos der Flechten von Dr. Berger! Eindrucksvoll waren seine Fluoreszenzaufnahmen mit UV-Anregung, wobei die chlorophyll-haltigen Algen durch ihre Rotfluoreszenz hervorstechen; der Pilz wurde mit Calcofluor White gegengefärbt und fluoresziert bläulich.
Die Vermehrung der Cyanoflechten erfolgt wie gewohnt bei Flechten durch Thallus-Bruchstücke in Form kleiner Auswüchse mit einer Sollbruchstelle an der Basis, „Isidien“, Pilz und Alge enthaltend, oder durch „Sorale“, staubige Ausbrüche an der Oberfläche, an denen vermehrungsfähige kleine Körnchen gebildet werden, sonst wie bekannt durch Apothecien.
Bild 5: Beispiel für krustenförmige Cyanoflechte, kalkiges Gestein, größtenteils endolithisch Petractis clausa - Felsstrahlflechte sternförmig aufreißendes Apothecium, 1mm Durchmesser Cyanobiont: Scytonema
Zu guter Letzt etwas Praxis: die mitgebrachten Belegexemplare wurden nach den Regeln unserer Kunst eingehend studiert, wie man auf den Bildern vom Abend sieht.
Frau Dr. Berger sei herzlich gedankt für ihren lehrreichen Vortrag, und wir freuen uns auf die angebotene Flechtenexkursion im Herbst!
Bild 6: Beispiel für Flechte aus Lebendherbar, Leverkusen Peltigera rufescens- Bereifte Hundsflechte
Hier noch einige Bilder vom Treffen Mikroaufnahmen mit dem Mobiltelefon durchs Okular
Literatur und Links
- Flechten – Lebenskünstler stellen sich vor
Bericht vom ersten Vortrag von Fr. Dr. Berger auf der Webseite des MKB
- Flechten einfach bestimmen:
Ein zuverlässiger Führer zu den häufigsten Arten Mitteleuropas
Volkmar Wirth & Ulrich Kirschbaum
Quelle & Meyer; 2. aktualisierte Auflage 2017
- Die Flechten Deutschlands
Prof. Dr. Volkmar Wirth, Prof. Dr. Markus Hauck & Dr. Matthias Schultz
Verlag Eugen Ulmer (1. Juli 2013)