Mikrotektonik – Die Verformung von Gesteinen im Dünnschliff betrachtet
Priv.-Doz. Dr. Thorsten Nagel, Dipl.-Geol. Dr. Jan Pleuger, Dr. Horst Wörmann, vom 09.11.2010
Die vorliegenden Photos zeigen Ausschnitte mikroskopischer Präparate, angefertigt am Geologischen Institut der Universität Bonn. Jeder dieser Dünnschliffe hat etwa ein Viertel der Dicke eines gewöhnlichen Papierblattes. Die mikroskopische Betrachtung von
Gesteinsdünnschliffen ist eine für Strukturgeologen und Petrologen unverzichtbare Methode, Aufschlüsse über Mineralinhalt, genetische Beziehungen der einzelnen Mineralphasen und deren Verhalten während der strukturellen Entwicklung des Gesteins zu erlangen.
Alle fünf gezeigten Präparate stammen von unterschiedlichen Gesteinen aus den Alpen, die während ihrer Entstehung oder Umformung im Erdinneren nicht nur hohen Drücken und Temperaturen sondern auch Scherkräften ausgesetzt waren. Die Auswirkungen dieser Kräfte auf das Kristallgefüge soll hier kurz erläutert werden.
Die einzelnen Abbildungen liegen zur Übersicht in einer Auflösung von 800*600 Punkten vor und können durch Klick auf die Absatzbilder aufgerufen werden. Zusätzlich können Sie die Aufnahmen über die Bilderlinks am Ende der Absätze auch in hoher Auflösung betrachten (die Dateigrößen liegen dann zwischen 2,5 und 6 MB).
Links zu den fünf Proben:
Probe A48: Mylonit aus der Aduladecke (Passo del San Bernardino, Graubünden)
Probe A178: Sediment der Misoxer Zone aus dem Val Vignun
Probe A135: Konglomerat aus der Misoxer Zone im Val Vignun
Probe TN02: Metapelit (metamorpher Tonschlamm)
Probe TN205: metamorphes Gestein aus den Zentralalpen
Probe A48: Mylonit aus der Aduladecke (Passo del San Bernardino, Graubünden)
Die Aufnahme von Probe A48 ist bei unter einem Winkel von 60° zueinander orientierten
Polfiltern und durch ein zusätzliches
Hilfsobjekt (Rot I. Ordnung) entstanden. Daher sind die im Bild sichtbaren Farben überwiegend die durch Materialanisotropie bedingten Interferenzfarben, je nach Orientierung der Mineralkörner vermehrt oder verringert um die Interferenzfarbe des Hilfsobjekts.
Der hier ausgewählte, etwa 25 µm dicke Dünnschliff ist ein
Mylonit aus der Aduladecke (Passo del San Bernardino, Graubünden); der abgebildete Präparatausschnitt ist 5,3x3,9 mm groß. Das Bild zeigt ein intensiv zerschertes Gestein, das sich bei der Verformung nicht spröde verhalten, sondern diese durch kristallplastisches Fließen des Quarz (gelbe bis rote und blaue Farben) aufgenommen hat. Die etwas ungleichmäßige Färbung innerhalb einzelner Körner ist auf die Beanspruchung der Kristallgitter durch äußere Spannungen zurückzuführen.
Die plastische Verformung des Quarz bewirkte eine Vorzugsorientierung der kristallographischen Achsen ebenso wie der Korngrenzen. Diese verlaufen überwiegend horizontal und damit parallel zu der durch Hellglimmer (grüne Farben) definierten Schieferung, aber auch von links oben nach rechts unten. Diese Asymmetrie der Quarz-Kornformen läßt ebenso wie die der sich während der Verformung rigide verhaltenden, passiv vom Quarz umflossenen Granatkörner (dunkelbraun) erkennen, daß die Scherung linkssinnig war, das heißt jeweils weiter oben befindliches Material wurde bezüglich des darunterliegenden nach links transportiert. Dieser Vorgang fand während der Kollision der europäischen mit der afrikanischen Kontinentalplatte bei etwa 500 °C und 7-8 kbar statt (entsprechend etwa 25-30 km Tiefe); das Gestein bezeugt das Hauptstadium des Aufstieges von Erdmantelmaterial aus Tiefen von bis zu 200 km, das heute in der Aduladecke an der Erdoberfläche zu finden ist.
Dieses Foto war Titelbild des Mikrokosmos 95, Heft 3 (2006).
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Mylonit aus der Aduladecke (Passo del San Bernardino, Graubünden), Dicke ca. 25 µm, Präparation durch Rainer Schwarz, Aufnahme von Dr. Horst Wörmann.
Probe A178: Sediment der Misoxer Zone aus dem Val Vignun
Der Dünnschliff A178 ist aus einem
metamorph überprägten
Sediment der Misoxer Zone aus dem Val Vignun (östlich des Passo del San Bernardino, Graubünden) präpariert worden und etwa 15 µm dick. Das Gestein wurde im Randbereich eines Europa und Italien (das, allerdings nur geologisch gesehen, zu Afrika gehört) bis vor etwa 55 Millionen Jahren trennenden Ozeans abgelagert, der bei Entstehung der Alpen verschluckt wurde.
Das Photo ist unter gekreuzten Polarisatoren aufgenommen worden, so dass allein die Interferenzfarben der abgebildeten Minerale sichtbar sind. Das Bild zeigt einen Ausschnitt des Präparates von 8,4x6,5 mm Größe. Die Bildmitte beherrscht ein dunkler Kalifeldspatkristall, der in eine Umgebung aus Quarz (grau), Hellglimmer (gelb-orange), Kalkspat (bunt) und kleineren Kalifeldspatkörnern eingebettet ist.
Während diese Matrix den Kalifeldspatkristall bei der Zerscherung des Gesteins plastisch umflossen hat, blieb dieser spröde und zerbrach. Mit fortschreitender Dehnung des Gestein in horizontaler Richtung wurden die entstandenen Risse breiter, es bildeten sich jedoch keine Hohlräume, sondern gleichzeitig mit der Erweiterung der Risse kristallisierte in diesen Kalkspat aus.
Der Schliff offenbart sehr eindrucksvoll die unterschiedlichen Materialeigenschaften von Kalifeldspat, Kalkspat und Quarz bei Temperaturen um 300-400 °C: Während der Quarz sich intrakristallin verformt und der Kalkspat sehr mobil ist, verhält sich der Kalifeldspat spröde.
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Sediment der Misoxer Zone aus dem Val Vignun (östlich des Passo del San Bernardino, Graubünden), Dicke ca. 15 µm, Präparation durch Rainer Schwarz, Aufnahme von Dr. Horst Wörmann.
Probe A135: Konglomerat aus der Misoxer Zone im Val Vignun
Auch der Schliff A135 stammt aus der Misoxer Zone im Val Vignun. Das entsprechende Handstück war ursprünglich ein Konglomerat, also ein mehr oder weniger feinkörniges
Sediment, in dem gerundete Quarzschotter steckten. Geschüttet wurde dieses Sediment wahrscheinlich von einem einst zwischen Europa und Italien befindlichen kontinentalen Sporn, der von diesen jeweils durch einen Ozean getrennt war und Verbindung mit Spanien hatte. Während der Kollision der Kontinente, bei der die Alpen entstanden, wurde das Gefüge des feinkörnigen Sedimentanteils völlig ausgelöscht.
Das Photo wurde unter gekreuzten
Polfiltern aufgenommen, das Bild zeigt einen Ausschnitt des Präparates von 8,1x5,6 mm Größe. Der feinkörnige Quarz (grau) und der Hellglimmer (blau) der Gesteinsmatrix rekristallisierten und zeigen Ansätze einer mylonitischen Zerscherung mit Bildung einer Schieferung. Diese Scherung war jedoch nicht intensiv genug, auch die Gerölle zu zerlegen. Zwar sind innerhalb des elliptischen Gerölls in der Bildmitte kleinere Quarzkörner entlang der Korngrenzen größerer Körner gewachsen, jedoch sind diese ebenso wie die charakteristische Eiform des Gerölls noch intakt.
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Konglomerat aus der Misoxer Zone im Val Vignun, Dicke ca. 25 µm, Präparation durch Rainer Schwarz, Aufnahme von Dr. Horst Wörmann.
Probe TN02: Metapelit (metamorpher Tonschlamm)
Die Probe TN02 ist ein Metapelit (ein metamorpher Tonschlamm), genauer ein Staurolith-Hellglimmer-Schiefer. Das Bild wurde mit gekreuzten Polfiltern und Lambda-Platte aufgenommen.
Bei dem großen graublauen Korn in der Bildmitte handelt es sich um Staurolith, die WSW-ENE-verlaufende Ader hindurch besteht aus Chlorit. Die kleinen, magenta-farbenen Einschlüsse, die auch rechts vom Staurolith und links unterhalb vorkommen, sind Granate. Die Matrix besteht fast ausschließlich aus Hellglimmer (mit etwas Biotit, den man dieser Einstellung aber nicht gut unterscheiden kann). Das gekörnte Band direkt über dem Staurolith besteht aus Quarz.
Das Staurolith-Korn hat eine Größe von 4,1 x 3,5 mm.
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Metapelit, Dicke ca. 25 µm, Präparation durch Willi Tschudin, Aufnahme von Dr. Horst Wörmann.
Probe TB205: metamorphes Gestein aus den Zentralalpen
Bei dem Material dieser Probe handelt es sich um ein
metamorphes Gestein aus den Zentralalpen im Südosten der Schweiz nahe der italienischen Grenze (Val Mesolcina, Graubünden). Das Gestein war ursprünglich ein Schlamm, der in einem Schelfmeer am Südrand des damaligen Europas wahrscheinlich in der Kreidezeit abgelagert worden war. Dieser Schelf wurde vor etwa 50 Millionen Jahren nach Süden unter den italienischen (apulischen) Mikrokontinent subduziert, nachdem der dazwischenliegende Ozean schon vollständig verschwunden war. Das Eintreten des europäischen Kontinentalrandes in die Subduktionszone führte schließlich zur Bildung der Alpen.
Bei der Versenkung gerieten die Ablagerungen auf den Schelf unter hohe Drücke und Temperaturen. Das fotografierte Material war vor etwa 40 Millionen Jahren bei Temperaturen von etwa 700 ºC in einer Tiefe von über 70 Kilometern. Bei so hohen Temperaturen wachsen in einem Schlamm neue Minerale wie Glimmer, Granat, Quarz, Feldspat und auch weniger bekannte Minerale wie die Alumosilikate – aus dem Ton wird so ein besonderer Gneiss, ein so genannter Granat-Glimmerschiefer. Dieser Prozess ist dem Brennen von Ton im Ofen vergleichbar, nur dass der Schlamm einige Millionen Jahre im Brennofen ist und so die neuen Minerale viel größer als in einem Scherben wachsen können. Einige Minerale sind auch druckabhänging und entstehen nur in großen Tiefen
Diese Probe enthält besonders prächtigen Staurolith (das große, bläuliche Korn im Zentrum des Ausschnitts und das gelbe Korn im unteren rechten Bereich). Staurolith ist ein aluminiumreiches Silikat und gewachsen, als das Gestein bei immer noch hohen Temperaturen schon wieder auf dem Weg zurück an die Oberfläche war– in etwa 30 Kilometer Tiefe bei etwa 650 ºC. Die Staurolithkörner sind in eine Matrix aus Hellglimmer (die kleinen, violetten Leisten in der oberen rechten Bildhälfte) und Quarz (die bunten, mosaikartigen Körner unten links) eingebettet. Ein anderes verbreitetes Mineral, das auch in großen Kristallen auftritt, ist Granat. Der Randbereich eines hier dunkelvioletten erscheinenden Granatkornes ist ganz unten links zu sehen. Granat, Hellglimmer und Quarz wuchsen schon auf dem Weg in die Tiefe. Der Staurolith ist also relativ spät und auf Kosten dieser Minerale gewachsen (einige kleine Granatreste sind als Einschlüsse in dem grossen Staurolithkorn erhalten). Deshalb ist der Staurolith auch in seiner schöne Kristallform erhalten, wogegen die Granate “angeknabbert’ sind. Ebenfalls schon auf dem Rückweg sind in dieser Probe kleine Mengen an Dunkelglimmer gewachsen (die dunkelgrünen, länglichen Leisten unten rechts neben dem Granatkorn und die vereinzelten grünen Körner im Hellglimmerfilz). Ganz spät in der Geschichte dieses Gesteins sind die Brüche im Staurolith entstanden, entlang derer das Mineral Chlorit auftritt. Geologen können anhand der verschiedenen Minerale und deren Wachstumsbeziehungen die Druck- und Temperaturgeschichte eines Gesteins rekonstruieren und so wichtige Rückschlüsse auf den Ablauf der Gebirgsbildung anstellen.
Das Foto zeigt einen Ausschnitt von etwa 4,2 x 3,1 mm
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Metamorphes Gestein aus den Zentralalpen (Val Mesolcina, Graubünden), Dicke ca. 25 µm, Präparation durch Willi Tschudin, Aufnahme von Dr. Horst Wörmann.
Literatur
Jan Pleuger und Horst Wörmann, Mikrotektonik – Die Verformung von Gesteinen im Dünnschliff betrachtet.
Mikrokosmos 95, Heft 3, S. 133-141 (2006)
Bilder A48, A135, A178:
Text: Dipl.-Geol. Dr. Jan Pleuger
Präparation: Rainer Schwarz
Bilder TN02 und TN205:
Text: Priv.-Doz. Dr. Thorsten Nagel
Präparation: Willi Tschudin
Fotos:
Dr. Horst Wörmann
Geologisches Institut
Nußallee 8
53115 Bonn