Die Giftbeere - internes Phloem der Solanaceen
Bild 1: Habitus der Giftbeere (Nicandra physaloides)
Jörg Weiß, vom 26.09.2021
In diesem kleinen Artikel möchte ich Ihnen Quer- schnitte vom Spross der Giftbeere (Nicandra physa- loides) zeigen. Sie stammen von einer Probepflanze, die Maria Beier dankenswerter Weise mit zum Dörn- bergtreffen gebracht hat. Die Giftbeere ist ein Nachtschattengewächs, gehört also zur Familie der Solanaceae und weist wie eigentlich alle Familienmitglieder eine Besonderheit im Bau der Leitgewebe des Sprosses auf. Um die soll es hier nun gehen.
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Interessantes zur Giftbeere
Die Giftbeere (Nicandra physalodes, auch Nicandra physaloides) ist die einzige Art der monotypischen Gattung Nicandra aus der Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) in der Ordnung Solanales. Die Herkunft der Giftbeere liegt in den Anden Südamerikas, wo sie von Peru bis ins nördliche Argentinien zu finden ist.
Die schöne Pflanze wird bereits seit dem 18. Jahrhundert als Zierpflanze verwendet, wegen ihrer Giftigkeit, ihrer Größe und dem für manche unangenehmen Geruch findet man sie allerdings nicht all zu häufig. Ausgewildert hat sie es jedoch geschafft, sich als Neophyt in vielen Ländern zu etablieren. Dazu zählen z.B. Die USA inklusive Hawaii, Australien (Ostküste), Indien und Mosambik aber auch Länder in gemäßigten Breiten wie Großbritannien und die Niederlande. Seltener ist sie auch in Deutschland schon zu finden.
Nicandra physaloides gedeiht an Weg- und Feldrändern und auf Ruderalflächen, aber auch an den Ufern von Gewässern oder an Waldrändern.
Der Gattungsname Nicandra leitet sich von dem griechischen Arzt Nikandros (2. Jhd. v. Chr.) ab, der die Pflanze jedoch nie gesehen hat. Allerdings hat er ein Buch über Pflanzengifte geschrieben ... . Das Artepitheton physaloides (oder physalodes) weist auf die Ähnlichkeit mit den Pflanzen der Gattung Physalis hin, zu denen jedoch keine Verwandtschaft besteht.
Die einjährige Pflanze kann 2 m hoch werden, und erreicht in den Tropen sogar 3 m. Der grüne Spross ist oft rötlich überlaufen und an der Basis mehrere Zentimeter dick. Die Blätter erreichen bei einer Breite von bis zu 10 cm inklusive Blattstiel Längen von bis zu 35 cm. Sie sind spitz auslaufend und grob gezähnt mit eingesenkten Blattadern.
Bild 2: Eine Blüte der Giftbeere (Nicandra physaloides)
Die 2 bis 4 cm großen aufrechten, später nickenden Blüten sind glockenartig und von hellblauer Farbe mit einem weißen bis gelblichen Grund. Seltener findet man auch gänzlich weiße Blüten. In jeder Blattachsel entspringt nur eine Blüte. Die Blütezeit reicht von Juni bis September.
Bild 3: Die leicht verwelkte Blüte des Probeexemplars
Die mit ca. 1 mm Durchmesser kleinen Samen befinden sich in einer etwa 1 cm großen kugeligen Beerenfrucht, die ballonartig von den nur am Grund zusammengewachsenen Kelchblättern umgeben ist - ähnlich den Blasenkirschen der Gattung Physalis. Reift die Frucht, färben sich die zunächst grünen Kelchblätter braun, dann ist ihre typische, netzartige Nervatur besonders gut zu erkennen.
Bild 4: Früchte der Giftbeere
Alle Pflanzenteile der Giftbeere sind giftig, besonders aber die Wurzeln, in denen sich verschiedene Alkaloide anreichern. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Hygrin und Tropinon. Ebenfalls in der Pflanze enthalten sind diverse Withanolide, von denen u. a. Nicandrenone für eine zytotoxische Wirkung bekannt ist.
Die Vergiftungserscheinungen ähneln denen einer Hyoscyamin-Vergiftung, allerdings mit schwächer ausgeprägten Symptomen wie Kopfschmerzen, Benommenheit, Übelkeit, Erbrechen, starker Durst, Mundtrockenheit, Schluckbeschwerden, Hautrötung, zunächst erhöhter Puls (Tachykardie) dann auch verlangsamter Puls (Bradykardie), Unruhe/Erregung, Pupillenerweiterung.
Bild 5: Samen der Giftbeere
Bild 6: Illustration aus Flora Batava of Afbeeldingen en Beschrijving van Nederlandsche Gewassen, XII. Deel
Kurz zur Präparation
Geschnitten habe ich den Spross freistehend auf dem Jung Zylindermikrotom mit Leica Einmalklingen 818 im SHK Halter.
Die Schnittdicke beträgt je ca. 60µm.
Die Schnitte wurden für ca. 20 Minuten AFE fixiert. Nach Überführen in Aqua dest. waren sie dann bereit für die Färbung.
Diese ist W3Asim I nach Rolf-Dieter Müller. Gefärbt habe ich mit dem Farbgemisch für ca. 8 Minuten mit einmaligem leichten Erwärmen.
Anschließend habe ich wieder gut mit Aqua dest. gespült und für weitere ca. 20 Minuten mit einmaligem Wechsel des Wassers sanft differenziert.
Eingedeckt wurden die Schnitte nach gründlichem Entwässern mit reinem Isopropanol wie immer in Euparal.
Die Präparation erfolgte auf dem Dörnbergtreffen 2021, daher das verkürzte Protokoll.
Die verwendete Technik
Die Aufnahmen sind auf dem Leica DMLS mit dem NPlan 5x sowie den PlanApos 10x, 20x und 40x entstanden. Die Kamera ist eine Panasonic GX7, die am Trinotubus des Mikroskops ohne Zwischenoptik direkt adaptiert ist. Die Steuerung der Kamera erfolgt durch einen elektronischen Fernauslöser. Die notwendigen Einstellungen zur Verschlusszeit und den Weißabgleich führe ich vor den Aufnahmeserien direkt an der Kamera durch. Der Vorschub erfolgt manuell anhand der Skala am Feintrieb des DMLS.
Alle Mikroaufnahmen sind mit Zerene Stacker V1.04 (64bit) gestackt. Die anschließende Nachbereitung beschränkt sich auf die Normalisierung und ein leichtes Nachschärfen nach dem Verkleinern auf die 1024er Auflösung (alles mit XNView in der aktuellen Version). Bei stärker verrauschten Aufnahmen lasse ich aber auch mal Neat Image in der Version 8.0 ran.
Der Spross der Giftbeere im Querschnitt
Zunächst eine Übersicht des Sprosses:
Bilder 7a-e: Spross der Giftbeere, Bilder 7c & e mit Beschriftung
Der Sprossquerschnitt ist insgesamt quadratisch mit verstärkten Kanten. Zunächst sehen wir den für viele einjährige, krautige Pflanzen üblichen Aufbau: Unter einer Epidermis 8Ep) mit recht dünner Cuticula (Cu) liegt das Rindenparenchym RP. An den Ecken des Sprosses finden wir zusätzlich ein versteifendes Kollenchym (Kol) oberhalb des Rindenparenchyms. Darunter folgt das Phloem (Pl) und getrennt durch ein Cambium (Ca) das Xylem (Xl) das in einen Sklerenchymring (Skl) eingebunden ist. Zum Xylem gehören viele großlumige Tracheen (T).
Nun aber kommt die bei vielen Solanaceen und so auch bei der Giftbeere zu beobachtende Besonderheit: auf dem Weg zur Sprossmitte folgt auf das Xylem noch einmal ein - nun innen liegendes oder internes - Phloem (iPl). Es bildet keinen geschlossenen Ring sondern tritt nur bei den initialen Leitbündeln auf.
Auch im Markparenchym (MP)selbst finden sich noch einige kleine Nester des internen Phloems.
Schauen wir jetzt beim internen Phloem etwas genauer hin:
Bilder 8a-c: Internes Phloem bei der Giftbeere, Bild 8c mit Beschriftung
Wir sehen, dass das innen liegende Phloem auch unterhalb des Xylems in kleinen, durch parenchymatische Zellen getrennten Gruppen angelegt ist. Die Siebplatten (SP) der Siebzellen zeigen, dass es sich wirklich um ein Phloem handelt. Den Übergang zum Markparenchym bildet hier ein nicht besonders stark lignifiziertes Sklerenchym (Skl).
Schauen wir einmal, wie sich das bei anderen Pflanzensprossen aus der Familie der Solanaceae darstellt (Beschriftung analog der Bilder zuvor):
Internes Phloem beim Gemeinen Stechapfel (Datura stramonium)
Werfen wir zunächst einen Blick auf das interne Phloem beim Gemeinen Stechapfel.
Bild 9: Blüte des Gemeinen Stechapfels
Bild 10a-g: Internes Phloem beim Gemeinen Stechapfel (Datura stramonium)
Bei insgesamt ähnlicher Sprossanatomie ist das innen liegende Phloem hier nicht so intensiv ausgeprägt, es finden sich weniger zusammenhängende Bereiche sondern hauptsächlich kleine Gruppen von Sieb- und Geleitzellen.
Internes Phloem beim Gemeinen Bocksdorn (Lycium barbarum)
Auch beim Gemeinen Bocksdorn (Lycium barbarum), der als verholzender Strauch wächst, finden wir ein internes Phloem mit einer weiteren Besonderheit:
Bild 11: Blüte des Gemeinen Bocksdorns
Bild 12a-d: Internes Phloem beim Gemeinen Bocksdorn (Lycium barbarum)
Anders als die einjährigen Pflanzen Giftbeere und Stechapfel ist der gemeine Bocksdorn ein verholzender Strauch. Trotzdem finden wir auch hier unterhalb des Xylems zur Sprossmitte hin ein innen liegendes Phloem. Auffällig sind die sichelförmig angeordneten und dunkel gefärbten Zellen zwischen dem internen Phloem und dem Markparenchym. Hier wurde das interne Phloem im Laufe des sekundären Dickenwachstums gestaucht und ist untergegangen.
Internes Phloem bei der Kapstachelbeere (Physalis peruviana)
Das nächste Beispiel ist die in der Beschreibung schon angesprochene Kappstachelbeere in Aufnahmen aus dem Jahr 2010. Hier konnte ich für das beschriftete Bild mit Maßstab (14b & d) nur die damals gemachte Aufnahme in der 800er Auflösung benutzen, da mir die Daten für eine korrekte neue Bemaßung nicht mehr vorliegen. Dies gilt auch für die weiter unten folgenden beschrifteten Bilder vom Schwarzen Nachtschatten (16b & e).
Bild 13: Blüte der Kappstachelbeere
Bilder 14a-d: Internes Phloem bei der Kapstachelbeere (Physalis peruviana)
Bei der Kapstachelbeere finden wir nur ganz kleine Gruppen internes Phloem im Markparenchym verstreut, manchmal gepaart mit einigen Sklerenchymzellen.
Internes Phloem beim Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum)
Mit dem Schwarzen Nachtschatten haben wir zum Schluss noch einen Vertreter aus der Gattung Solanum.
Bild 15: Blüten des Schwarzen Nachtschattens
Bilder 16a-e: Internes Phloem beim Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum)
Auch beim Schwarzen Nachtschatten liegt das interne Phloem in kleinen Gruppen vor, die hier jedoch wie Perlen an einer Schnur am unteren Rand der primären Leitbündel liegen.
Literatur und Links
[1] Mikroskopisch-botanisches Praktikum
Gerhard Wanner
, Thieme, 2. Auflage 2010
[2] Pflanzenanatomie
Katherine Esau, Gustav Fischer Verlag, 1969
[3] Botanische Schnitte mit dem Zylindermikrotom
Jörg Weiß, MBK 2011
[4] Botanische Färbungen im Vergleich
Jörg Weiß, MKB 2019
[5] Tabelle der Abkürzungen zur Pflanzenanatomie
Jörg Weiß, MKB 2013
[6] Flora von Deutschland und angrenzenden Ländern
Schmeil - Fitschen
Quelle & Meyer, 93. Auflage 2006, S. 459
[7] Atlas of Stem Anatomy in Herbs, Shrubs and Trees
Schweingruber, Börner, Schulze;
Springer, 2013; Vol. 2 Seite 272 ff. Solanaceae
[8] Die Giftbeere (Nicandra physaloides)
Wikipedia, Stand 26.09.2021
[9] Die Giftbeere (Nicandra physaloides)
Offene Naturführer, Stand 26.09.2021
Bildquellen
- Bild 1: Habitus der Giftbeere (Nicandra physaloides)
Aus Wikipedia, von User TeunSpaans, CC BY-SA 3.0
- Bild 2: Eine Blüte
Aus Wikipedia, von User Boronian, CC BY-SA 3.0
- Bild 4: Früchte der Giftbeere
Aus Wikipedia, von User Karelj, CC BY-SA 3.0
- Bild 5: Samen der Giftbeere
Aus Wikipedia, von Steven Hurst, USDA-NRCS PLANTS Database, gemeinfrei
- Bild 6: Illustration aus Flora Batava of Afbeeldingen en Beschrijving
van Nederlandsche Gewassen, XII. Deel
Aus www.biolib.de von Christiaan Sepp, 1865, gemeinfrei. Scan von Kurt Stüber
- Bild 13: Blüte der Kappstachelbeere
Aus Wikipedia, von User mv, CC BY-SA 3.0
- Alle anderen Aufnahmen vom Autor des Artikels
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